Man könnte wirklich schwarz sehen angesichts der immensen Herausforderungen, die uns aktuell beschäftigen. Tun wir aber nicht: Wir sehen rot-pink – und meinen damit „Frauenpower“. Wer jetzt aufgrund dieses frauenbewegten Schlagworts der 1980er- und 1990er-Jahre die Augen rollt, verkennt die Tatsache, dass es mehrheitlich Frauen sind, die aktuell wichtige Impulse zur Lösung der unterschiedlichen Krisen liefern.
Gute Beispiele sind die Klimabewegung und die Proteste im Iran. Aber auch in unserer Branche sind es Frauen, die die Veränderung vorantreiben. Dabei kommen die Impulse häufig aus den Tätigkeitsbereichen außerhalb des Kerngeschäfts – beispielsweise aus der Kommunikation, der Baukulturellen Bildung und den Fachmedien. Oft sind Architektinnen in diese Bereiche abgewandert, da sie in der klassischen Architektur nicht die Arbeitskultur und -bedingungen vorgefunden haben, die sich benötigen und wünschen.
Mit der Diskussion um die Zukunft des Bauens und der Architektur haben Akteur*innen, die sich für eine ökologischen und soziale Bauwende stark machen, die vielleicht größte Veränderung in unserer Branche seit der klassischen Moderne vor 100 Jahren angestoßen.
Sind Frauen die besseren Weltretter?
Doch warum sind es gerade Frauen, die hier Vorreiterinnen sind? Es gibt hauptsächlich zwei Erklärungsansätze. Der eine sieht die Gründe in der Sozialisation von Frauen. Ihnen werden Eigenschaften wie Empathie und Fürsorge zugesprochen, die ein Verantwortungsgefühl für Mitmenschen und die Natur erzeugen.
Der andere Ansatz bezieht sich auf die Lebenssituation von Frauen. Sie sind deutlich häufiger von Ungleichheit betroffen und erledigen in allen Teilen der Erden den Löwinnenanteil der Care-Arbeit. Auch die Klimakrise trifft sie – vor allem im globalen Süden – stärker, u.a. sind sie es, die sich teilweise mit eigenem Anbau um die Ernährung der Familie kümmern. Durch ihre Erfahrungen und ihren Fokus verfügen sie über ein Wissen und Ansatzpunkte, die im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen wertvoll sind.
Zu welchem Erklärungsansatz man tendiert, ist eine Frage der persönlichen Haltung. Fakt ist: Wo Frauen bei der Lösung von Problemen einbezogen werden, sind diese erfolgreicher und dauerhafter. Seien es Friedensverhandlungen, mikroökonomische Entwicklung auf lokaler Ebene, Maßnahmen gegen die Klimakrise oder die Planung unserer Städte. Der Grund ist einfach: Wenn die Lebensrealitäten aller Betroffenen berücksichtig werden, steht die Lösung auf einer breiteren Basis.
Nicht nur ein Thema für Frauen
Die Schlussfolgerung daraus: Alle, die sich für Chancengleichheit und gerechte Teilhabe nicht nur von Frauen stark machen, tragen zur Lösung der unterschiedlichen aktuellen Krisen bei.
Das gilt auch in der Architektur. Die breite Diskussion um Themen wie bezahlbaren Wohnraum, neue Strukturen für unsere Städte, klimafreundliche Mobilität und Umbaukultur haben zu einer neuen Relevanz von Architektur und Stadtplanung in Politik und Gesellschaft geführt. Damit bekommt die Architektur eine Bedeutung, die über reine Ästhetik, horrende Baukosten und den „Bilbao-Effekt“ hinausgehen.
Mit dem Bedeutungsverlust einzelner „Meisterwerke“ schließt sich der Kreis: Wenn nicht mehr „der Meister“ und sein Werk im Mittelpunkt des Interesses stehen, sondern der gesellschaftliche und ökologische Wert von Architektur, führt dies auch zu einem neuen, inklusiveren und offeneren Selbstbild unserer Branche.