Herrschaftszeiten ändern sich

Fragt man junge Architektinnen, was sie sich für ihren Berufsalltag wünschen, könnten sie viele Punkte nennen – z.B. die gleiche Bezahlung wie ihre Kollegen. Tun sie aber nicht. Ein häufiger Wunsch ist eine wertschätzende Unternehmenskultur, in der sie als Frauen gesehen werden und sich entwickeln können. Was bedeutet das? Und wie kann es gelingen?

Anfang des Jahres veröffentlichte die Financial Times die Ergebnisse einer Studie des Survey Center on American Life. Sie zeigen, dass in der Altersgruppe der 18-29Jährigen Frauen deutlich liberaler wählen und progressiven Ideen offener gegenüberstehen als Männer im gleichen Alter – und zwar weltweit. Dies kann erklären, warum besonders junge Absolventinnen neue Arbeitsbeziehungen auf Augenhöhe und eine neue Führungskultur fordern.

Das Narrativ des Künstlerarchitekten

Diese Forderung läuft den vorherrschenden Narrativen, die das Bild des Architekten und die Berufskultur prägen, zuwider. Wie Karin Hartmann in ihrem Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur“ darlegt, ist der „Lone Genius“ ein besonders starkes und weit verbreitetes Narrativ. Seinen Prototyp finden wir, so Karin Hartmann, unter anderem in dem Film „The Fountainhead“. Sie schreibt: „Die Figur Howard Roark versinnbildlicht eine Reihe von Glaubenssätzen in der Architektur: das unbeirrte Streben, die vollkommene Hingabe an das architektonische Werk, der Glaube an die eigene Entwurfsqualität wider allen Gegenstimmen, der Ruhm, der sich erst nach einem harten Leidensweg einstellt, die Verschmelzung von Autor und Werk.“ (S. 46) Karin Hartmann führt weiter aus, wie die historische Genese des Künstlerarchitekten in den 1980er und 90er Jahren in den Kult um die sogenannten Stararchitekten mündete. Sie sind bis auf Zaha Hadid alle Männer.  

Diese Bilder prägen die Berufs- und Unternehmenskultur vieler Büros bis heute. Sie sind aber nicht mit der Lebensrealität und den Wünschen vieler junger Absolventinnen vereinbar. Was wir brauchen, ist eine neue Erzählung, mit der sich eine nachwachsende Generation identifizieren kann. Sie könnte den Entstehungsprozess guter Architektur neu erzählen: als kollaborativen und kommunikativen Prozess, der Vorhandenes wertschätzt und der nicht auf eine Architektenmarke einzahlt, sondern sich in den Dienst aller Nutzenden stellt.

Eine neue Führungskultur

Wie kann es gelingen, dass das Arbeitsethos nicht ein Leidensweg ist, an dessen Ende ein geniales Werk erwartet wird? Wie kann es als bereichernder Diskurs gestaltet werden? Die Architektin Wiebke Ahues, tätig in Berlin, hat auf unserer Veranstaltung „Vorbilder im Gespräch“ im November 2023 eine Herangehensweise skizziert, die sie in einem Paper von ihr, Karin Hartmann und Marie Hvejsel zu UIA 2023 in Kopenhagen zusammengefasst hat: Den Gedanken eines Team Caring statt Team Leading.

In dem Paper, in dem sie ihre Version einer Führungskultur skizziert, schreibt sie: „Die Rolle der Projektleitung ist es, die Potenziale [der Team-Mitglieder] zu erkennen, zu fördern, Schwächen auszugleichen, innerhalb des Teams zu vermitteln. … Das Ziel ist Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative.“

Es geht ihr darum, ein Team aus unterschiedlichen Akteur*innen zu formen und einen sicheren Raum zu eröffnen, in dem jede*r die eigene Perspektive einbringen kann – und diese auch Gehör findet. Ein Raum, in dem Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, Aufgaben eigenverantwortlich bearbeitet und „Einmischung“ im Sinne des Projekts und mit dem nötigen Respekt erwünscht ist.

Bildmotiv mit Künstlicher Intelligenz erstellt

Für die Erstellung des Motivs hat die Grafikerin Marie Longjaloux Künstliche Intelligenz (KI) genutzt. Es hat mehrere Anläufe gebraucht, um der KI halbwegs diverse Frauenbilder zu entlocken. „Frau“ wird in der Welt der künstlichen Intelligenz mit „weiß, jung und schlank“ übersetzt. Erst mit dezidierten Beschreibungen war die KI in der Lage, das aktuelle Motiv zu gestalten. Da zeigen sich die Chancen aber auch die Risiken dieser neuen Technologie – und die Notwendigkeit auch hier für die Sichtbarkeit aller Frauen einzutreten.