Karin Hartmann: Architektin, Autorin, Baukulturexpertin – und unsere neue Vorsitzende

Seit April haben wir mit Karin Hartmann eine neue Vorstandsvorsitzende. Die 49-jährige Architektin und Wahlbonnerin löst Katja Domschky ab, die nach acht erfolgreichen Jahren den Posten freimachte. Da ein persönliches Kennenlernen in den letzten beiden Jahren schwierig war, haben wir Karin stellvertretend die wichtigsten Fragen gestellt und stellen sie euch heute vor.

Karin, kannst du uns etwas zu Deinem Werdegang erzählen?

Ja, gerne. Nach einer Ausbildung zur Werbekauffrau in Düsseldorf bin ich 1994 zum Architekturstudium nach Dresden gegangen. Das war eine spannende Zeit: Alles war im Um- und Aufbruch. Ich weiß gar nicht, wie viele Wohnungen wir Studierenden damals selbst saniert haben. Nach meinem Diplom habe zunächst für meine Kammereintragung als Architektin gearbeitet und schließlich im Bereich Wettbewerbsmanagement –  ab 2005 mit meinem eigenen Büro in Dresden und meiner Heimatstadt Paderborn.

2011 habe ich meinen Lebensmittelpunkt ganz nach Paderborn zurückverlegt und meinen Fokus mehr und mehr auf das Thema Baukultur gelegt. Ich habe darüber gebloggt und parallel den Verein Zwischenstand gegründet, mit dem ich kulturelle Zwischennutzungen in Leerständen der Paderborner Innenstadt organisiert habe. In einem Laden habe ich mit anderen Akteur*innen Baukulturveranstaltungen und künstlerisch-architektonische Projekte organisiert.

Ab 2016 habe ich die Perspektive gewechselt und als Referentin am Bonner Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Forschungsprojekte für die Baukulturforschung des Bundes konzipiert und betreut. Gleichzeitig habe ich Artikel und Publikationen zum Thema Baukultur geschrieben, Veranstaltungen organisiert und auf Podien und Veranstaltungen dazu gesprochen.

Seit 2021 bin ich Projektleiterin für Baukulturvermittlung bei Baukultur NRW. Parallel habe ich im letzten Jahr ein Buch geschrieben, das im Sommer diesen Jahres erscheint: „Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur“. Im Buch thematisiere ich die Fragen, warum so viele Frauen und marginalisierte Personen die Architekturbranche verlassen, wie sich die dadurch entstehende Leerstelle auf die Planung auswirkt und wie eine Planungskultur aussehen kann, in der alle willkommen sind.

Auf den ersten Blick überrascht das Thema Deines Buches, wenn man sich Deinen bisherigen Werdegang ansieht. Wie kam es dazu?

Das Thema Feminismus begleitet mich schon seit meinem 13. Lebensjahr. Die Freundin meines Bruders schenkte mir damals das Buch „Die Töchter Egalias“. In dem Buch sind alle Rollenklischees konsequent vertauscht – das hat mich damals sehr beeindruckt. Viele Jahre war Feminismus eher ein privates Interesse von mir. Erst später wurde mir bewusst, wie stark die Architektur und Planung durch strukturelle Diskriminierungen geprägt ist.

Wie tief die patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft verankert sind und wie sehr unser System davon geprägt ist, ist mir so richtig in der Pandemie bewusst geworden – nämlich als errungene Erfolge der Chancengleichheit in einer Notsituation kurzerhand revidiert wurden. Mit zwei anderen Frauen habe ich daher zu Beginn der Pandemie die Protestaktion #coronaelternrechnenab initiiert mit dem Ziel, Care-Arbeit und ihren Wert sichtbar zu machen.

In meinem Buch fließen nun mein Engagement für Feminismus und Baukultur zusammen, denn die Zugänglichkeit für alle zum Beruf und zur Gestaltung unserer gebauten Umwelt ist eine Frage der Gerechtigkeit. Auf der anderen Seite fehlen die gut ausgebildeten weiblichen Fachkräfte. Das hat Auswirkungen auf die gebaute Umwelt.

Wie bist Du zur architektinnen initiative nw gekommen und warum engagierst Du Dich?

Meine Vorgängerin Katja hat mich zur ai nw gebracht. Ich war 2020 auf einer Veranstaltung zur Ausstellung „Frau Architekt“, organisiert von Baukultur NRW, in Düsseldorf eingeladen, wo ich auf dem Podium saß und sie erstaunlicherweise im Publikum.

Katja berichtete dort von der ai nw als Best Practice Beispiel und ich fühlte mich direkt angesprochen. Besonders spannend finde ich die Tatsache, dass die ai nw das älteste Netzwerk für Planerinnen in Deutschland ist – und schon vor dem aktuellen Trend so aktiv und lebendig agierte und Ungleichheiten thematisiert hat.

Es klingt ein bisschen abgedroschen, wenn ich sage, ich möchte, dass es Absolventinnen und Berufseinsteigerinnen besser haben sollen, als ich vor 30 Jahren. Doch die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Absolventinnen und der Frauen, die in der Architektur dauerhaft und in verantwortungsvollen Positionen arbeiten, ist nach wie vor hoch. Hier liegen systemische Probleme vor, die wir zügig lösen müssen. Es ist einfach an der Zeit.